Veranstaltung: | GRÜNER Bundestag! Listenaufstellung bei der LDK |
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Tagesordnungspunkt: | 4. Landwirtschaft und Naturschutz |
Antragsteller*in: | LAG FREI, LAG Landwirtschaft und Naturschutz (dort beschlossen am: 27.01.2017) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 01.02.2017, 11:26 |
A2: Mehr Leben auf dem Land! – Bündnisgrüne Forderungen für eine Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik
Antragstext
Vor über 50 Jahren wurde Europas gemeinsame Agrarpolitik (GAP) begründet, um
eine stabile Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln sicherzustellen. Bis heute
ist sie der einzige Politikbereich der EU, der vollständig gemeinschaftlich
finanziert wird. Deshalb wird seit jeher ein großer Teil des EU-Haushalts für
diesen Bereich verwendet. Die bisherige Agrarpolitik zeigt aber erhebliche
Auswirkungen auf das dörfliche Leben, auf den Naturhaushalt, auf den
Biotopschutz, den Klimawandel und den Artenreichtum in unserer agrarisch
geprägten Kulturlandschaft. Hier muss es eine Umorientierung geben. Das fordern
seit Jahren auch mehrere Sachverständigenräte.
Im EU-Haushalt entfallen jährlich knapp 60 Milliarden Euro auf die GAP. Die zwei
Säulen der GAP verfolgen dabei gegenläufige Ziele: Die 1. Säule besteht aus
Direktzahlungen, die als pauschale Flächenprämie mit 70% der GAP-Mittel, also
etwa 45 Milliarden Euro, Bodenbesitz belohnt. Da es sich lohnt, möglichst große
Flächen zu bewirtschaften, fördert die flächengebundene Zahlungen die
Industrialisierung der Landwirtschaft. Ein großes Problem besteht bereits darin,
dass die Gelder als Pacht einfach an die Grundbesitzer fließen, ohne dass die
Landwirte davon profitieren.
Die Ziele des „Greenings“ (Begrünung) im Rahmen der letzten GAP-Reform 2013
wurden insgesamt verfehlt. Die Kriterien, an die die Direktzahlungen gebunden
werden sollten, sind durch die Verhandlungen im EU Ministerrat auch mit
Unterstützung der deutschen Bundesregierung systematisch unterlaufen worden, so
dass sie keine Lenkungswirkung entfalten können. Sie erbringen damit auch keinen
gesellschaftlichen Nutzen.
Es muss deutlich gesagt werden, dass die EU – Agrarpolitik nicht allein von der
EU-Kommission oder dem Europäischen Parlament, sondern maßgeblich von den
Mitgliedstaaten bestimmt wird. Die Europäische Kommission und insbesondere das
Europäische Parlament haben zahlreiche Initiativen unternommen, bessere
Umweltqualitätsstandards in die Förderpolitik einzuziehen. Das wurde regelmäßig
von den Regierungen der Länder unterlaufen, auch von der Bundesregierung und der
Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern. Ein besseres Greening wäre nach den
gegebenen EU - Förderrichtlinien durchaus möglich, müsste allerdings durch das
Bereitstellen der Kofinanzierungsstrukturen durch das Land politisch gestützt
werden. Dies ist gegenwärtig nicht der Fall.
Die Landesregierung, die über den Bundesrat und die
Landwirtschaftsministerkonferenz an den Entscheidungen über die Ausrichtung der
europäischen Agrarpolitik beteiligt ist, hat bisher dagegen nichts unternommen.
Masse statt Klasse bleibt das Credo der Landespolitik. Absatzkrisen,
Konzentrationen, Arbeitsplatzvernichtung, prekäre Arbeitsverhältnisse,
Landflucht und allgemeine Perspektivlosigkeit in den Dörfern sind die Folgen.
Das muss sich ändern! Wir brauchen eine Neuausrichtung der europäischen
Agrarpolitik. Dazu werden jetzt in Brüssel und im Bund gerade die Weichen
gestellt. Wir haben klare Forderungen, was sich ändern muss, damit Mensch und
Natur auf dem Land wieder eine gute, lebenswerte Perspektive bekommen.
Bei der bevorstehenden Halbzeitbewertung der Europäischen Agrarpolitik, im
Rahmen des gegenwärtigen Konsultationsprozesses der EU-Kommission zu deren
künftiger Ausgestaltung und bei den 2017 beginnenden Verhandlungen über den EU-
Haushalt für die kommende Förderperiode fordern wir die Landesregierung
Mecklenburg – Vorpommern auf, sich konsequent für eine Neuausrichtung der
europäischen Agrarförderung einzusetzen.
Wir fordern von der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern:
1. dass zur Halbzeitbewertung die vollen 15 Prozent von der 1. Säule der EU-
Agrarförderung in die zweite Säule umgeschichtet werden. Damit kämen ab 2019
jährlich zusätzlich 525 Millionen Euro allein in Deutschland einer besseren
Landwirtschaft und gutem Essen zugute – so, wie die Mehrheit der Bürger*innen es
sich wünscht. Wir fordern eine Deckelung der Flächenprämie und die gezielte
Umschichtung in ökologische Landwirtschaft und nachhaltige Entwicklung.
2. die Vorbereitung des mittelfristigen Ausstiegs aus dem bisherigen
Säulenmodell und das Einleiten eines Umstiegsszenarios der bisherigen
Mittelvergabe mit dem Ziel einer an öffentlichen Leistungen orientierten
Förderung der Landwirtschaftsbetriebe. Leitbild muss der ökologische Landbau
sein. Mit den Zahlungen werden so Ökosystem-Dienstleistungen und die Schaffung
von qualifizierten Arbeitsplätzen honoriert. Beginnend 2020 soll spätestens 2034
die Agrarförderung umgestellt sein.
3. dass während der Übergangszeit Betriebe mit geringeren Standards gestaffelt
entsprechend weniger Geld erhalten. Diese Standards sollen sich aus einfachen
und leicht überprüfbaren Betriebsfaktoren ergeben, z.B. Weidehaltung,
ausschließlich organische Düngung, Mindestfruchtfolge und Anzahl der
Arbeitsplätze. Dadurch wird auch der bürokratische Aufwand verringert.
Ökologischer Landbau muss Leitbild der europäischen Agrarpolitik und
Prämienstandard für die Vergabe öffentlicher Gelder werden!
4.die Umstellung der Förderung zu tiergerechten Haltungssystemen muss durch
transparente Standards festgelegt werden. Landwirte und ihre Partner in der
Zivilgesellschaft sind dabei einzubeziehen Die Tierhaltung muss an die vorhanden
regionalen Futterflächen gebunden werden.
5. die Sicherung und den Wiederaufbau von Biodiversität in der Agrarlandschaft.
Besondere Naturschutzleistungen, die Förderung benachteiligter Gebiete sowie
besondere Maßnahmen zur Landschaftspflege benötigen zusätzlich besondere
Fördermodule, die sowohl für den Ökolandbau als auch für andere Standards den
Betrieben angeboten werden sollen.
6. eine besondere Förderung der Entwicklung lokaler und regionaler
Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen u.a. durch Verknüpfungen mit dem
Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und Förderung der Schaffung
von qualifizierten Arbeitsmöglichkeiten durch Verknüpfung mit den Mitteln aus
dem Europäischen Sozialfonds (ESF) einzuführen. Dazu bedarf es einer
einheitlichen ressortübergreifenden Förderstrategie für den ländlichen Raum. Das
Instrument LEADER zur Förderung der ländlichen Infrastrukturen benötigt mehr
Transparenz, Entbürokratisierung und eine bessere Partizipation neuer,
innovativer Akteure.
7. die EU-Agrarförderung muss weg von ihrer Exportorientierung, hin zu einer
Binnenorientierung in Europa, die Produzierende, Vermarktende, Verbraucher*innen
sowie zivilgesellschaftliche Organisationen vereint. Die Souveränität der
Landwirtschaft in den Entwicklungs- und Schwellenländern darf nicht untergraben
werden. Die bisherige starke Exportorientierung bei Milch, Fleisch, Eiern u.a.
führt nicht nur zu erhöhter Klimabelastung, sondern zerstört auch die Märkte in
den ärmeren Ländern der Welt.
8. neben der Qualifizierung der Betriebe und den Aufbau neuer
Vermarktungsstrukturen muss eine verbraucher*innenfreundliche Politik Kern einer
neu ausgerichteten Agrarpolitik sein. Verbraucher*innen müssen sich auf eine
klare Kennzeichnung und Transparenz im Herstellungsprozess verlassen können, um
mit ihrem Einkauf Politik machen und die Agrarwende unterstützen zu können. In
diesem Kontext sollen auch die Konzepte umgesetzt werden, die gesunde,
biologisch-saisonale und regionale Ernährung für alle verfügbar machen. Daher
muss die GAP stärker die Instrumente der Marktordnung, des Ordnungsrechts und
einer fairen Handelspolitik konsistent miteinander verbinden, damit sie diese
Lenkungswirkung entfalten können.
9. Eine neue europäische Agrarpolitik muss weg von der alleinigen
Ertragsorientierung und Profitmaximierung. Sie muss zu einem Instrument der
Mitverantwortung für die ländliche Strukturpolitik weiterentwickelt werden. Dazu
benötigt es integrierte Ansätze, die Einbeziehung der lokalen und regionalen
Akteure und eine anspruchsvolle wissenschaftliche Begleitung.
Es bedarf eines neuen politischen Wollens, auf Landes- Bundes- und Europaebene.
Wir wollen wieder mehr Leben ins Dorf bringen. Dafür stehen wir!
Begründung
Derzeit ist eine Landwirtschaft in der EU ohne Subventionen nicht zu betreiben. Es bedarf allerdings stärker der Vergütung von Gemeinwohlleistungen mit öffentlichen Geldern, um das Ziel einer Ökologisierung und Qualifizierung der Landwirtschaft zu erreichen. In einer Politik unter dieser Prämisse kann die klassische Agrarförderung als unkonditionierte Einkommenssicherung nicht erhalten bleiben. Öffentliche Gelder sollen an Landwirte grundsätzlich nur für öffentliche Maßnahmen wie für die Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen, für Landschaftspflegemaßnahmen oder für den Erhalt der biologischen Vielfalt vergeben werden. Da derzeit die 1. Säule für die Mehrheit der Betriebe etwa die Hälfte des Einkommens und in einigen Regionen unseres Landes sogar die größte Einkommensquelle darstellt, muss der Abbau direkter, unkonditionierter Subventionen ohne Strukturbrüche mittelfristig geplant werden.
Trotz mehrfacher Reformen der EU-Agrarpolitik hat sie weiterhin keine Steuerungswirkung hin zu einer umweltgerechten, nachhaltigeren Agrarpolitik, sondern fördert nach wie vor anachronistisch agrarindustrielle Bewirtschaftungsmethoden und damit den industriellen Strukturwandel in der Landwirtschaft mit verheerenden Auswirkungen auch in Mecklenburg-Vorpommern: Milchkrise, Höfesterben, Arbeitsplatzvernichtung, steigende Schadstoffbelastungen, „land grabbing“ für Finanzinvestoren und zunehmende Ausräumung der Landschaft. Das jetzige Agrarsystem bedingt nicht nur den Verlust der Artenvielfalt durch Monokulturen und Pestizide, die Verseuchung von Böden und Trinkwasser, eine klimaschädliche Bewirtschaftungsweise, sondern führt auch zu Entvölkerung des ländlichen Raumes. Es bietet viel zu wenig wirtschaftliche Perspektiven für Ökobetriebe, regionale Verarbeitung und Vermarktung, eine funktionierende ländliche Infrastruktur und Arbeits- und Lebensmöglichkeiten gerade für junge Menschen im ländlichen Raum.
Während des Umstiegs auf ein nachhaltiges Agrar- Umwelt - und Ernährungssystem müssen gerade kleinere Betriebe unterstützt werden, um Strukturbrüche in diesem Sektor zu vermeiden. Es sollten im Rahmen eines Umstiegs von Anfang an solche Gemeinwohlleistungen vergütet werden, die kleinere Betriebe leicht erbringen können. Wenn beispielsweise die Bewirtschaftung kleinerer Flächen die biologische Vielfalt und den Artenreichtum erhält, diese Leistung kleinere Betriebe im Gegensatz zu größeren leichter erbringen und sie ihnen vergütet wird, stärkt sie das im Wettbewerb.
Durch den Brexit und andere haushaltspolitische Zielstellungen stellen sich spätestens ab 2020 andere finanzielle Rahmenbedingungen im Haushalt der Europäischen Union. Es gilt, Mittel für die Landwirtschaft zu sichern, indem diese an konkrete gesellschaftliche und ökologische Leistungen gekoppelt werden. Sie können genutzt werden, um bestehende Umwelt- Natur- und Tierschutzziele, einen verbesserten Verbraucher*innenschutz sowie positive Arbeitsmarkteffekte zu erreichen und den Landwirten weiterhin auch Einkommenschancen zu sichern.
Die zahlreichen Umweltziele der Europäischen Union können nur erreicht werden, wenn die GAP gezielt auf eine Ökologisierung der Landwirtschaft konzentriert wird und die Finanzmittel entsprechend vergeben werden. Hierzu zählt auch, wirkungsvolle Agrarumweltmaßnahmen zu entwickeln, die tatsächlich zur Erreichung der Klima- und Biodiversitätsziele der EU beitragen und nicht überwiegend Mitnahmeeffekte generieren. Teile der Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen von Natura 2000 - Gebieten sollten mithilfe der Landwirtschaft umgesetzt werden. Es ist sicherzustellen, dass die Finanzierung der Natura 2000 – Umsetzung eine hohe Priorität eingeräumt wird.
Viel wäre auch gewonnen, wenn bei der Neuordnung der Agrarpolitik die Bürokratie für Bauern und Agraradministration geringer würde. Das jetzige Greening und seine vielen Ausnahmen haben zu einem bürokratischen Overkill für die Bauern und die Verwaltung geführt. Zur Erfüllung der eigentlichen Zielstellungen hat es aber wenig beigetragen.
Unterstützer*innen
- Dr. Johannes Kalbe (KV Rostock)
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